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Es wird gestritten um die East Side Gallery. Es wird sogar heftig gestritten. Über 6.000 Berliner haben protestiert. Das längste noch existierende zusammenhängende Stück Mauer in Berlin, das Freiluftkunstwerk sollte durchbrochen werden. Ein 22 Meter großer Durchbruch sollte entstehen, aus Sicht vieler Protestierender nur, um den Weg von und zu Luxuswohnungen freizugeben, die bisher alleine in der Planung existieren. Dabei ging es beim Mauerdurchbruch doch eher um eine Brücke? Und im Mittelpunkt des Streits steht auch gar nicht die East Side Gallery, sondern jenes Hochhaus mit den Luxuswohnungen? Für Nichtberliner sind die Fragen rund um den Protest etwas verwirrend. Entwirren wird die Sache doch einfach etwas.

Die East Side Gallery (vielleicht nur Nebenakteur)

„In Berlin soll ein Teil der berühmten East Side Gallery aus der Mauer gerissen und etwas versetzt wieder aufgebaut werden“, zitiert die Zeitung „Die Welt“ Franz Schulz, den Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, am 22. Februar 2013. Die „East Side Gallery“ ist 1,3 Kilometer lang, ein von insgesamt 118 Künstlern aus aller Welt bemaltes Stück der ehemaligen (Hinter-)Mauer, die einst Ost- von Westberlin getrennt hat. Die Medienmitteilungen, warum der aktuelle Mauerdurchbruch geplant war, sind etwas widersprüchlich. Die einen schreiben, dass der Durchbruch alleine wegen der als Fußgänger- und Radfahrerbrücke geplanten Brommybrücke über die Spree realisiert werden sollte, während die anderen das zwischen der East Side Gallery und der Spree geplante Hochhaus UND die Brücke als Gründe nennen. Dass die Brücke für Fußgänger und Radfahrer gebaut werden soll und nicht für Autos, war ein Ergebnis des Bürgerentscheids „Spreeufer für alle!“ im Jahr 2008. Fakt scheint zu sein: Auch wenn der eigentliche Grund für den Durchbruch durch die „East Side Gallery“ nur die Brücke gewesen wäre, hätte der Durchbruch wohl auch dem Hochhaus gedient.

Die Sache mit dem Hochhaus (stiller Hauptakteur)

Die Hochhauspläne stammen bereits aus dem Jahr 1992, als ein Entwurf für das Hochhaus auf dem Todesstreifen mitsamt 120 Meter langem Gebäuderiegel und zehn Stadthäusern siegreich aus dem städtebaulichen Wettbewerbsverfahren „Hauptbahnhof“ (heute Ostbahnhof)  hervorging. So heißt es in einer Chronologie der Ereignisse rund um die Baupläne, die von Mitgliedern der BVV-Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen Friedrichshain-Kreuzberg zusammengestellt wurde. Die Pläne zu den zehn Stadthäusern sind inzwischen vom Tisch. Für das Hochhaus und den Gebäuderiegel gab es im Jahr 2000 einen positiven Bauvorbescheid. Eine Baugenehmigung für das Hochhaus existiert seit Juni 2008. Als die Plangewährleistungsfrist für die Baupläne im August 2012 ablief, wurde der Versuch gestartet, die für den Bau vorgesehenen Grundstücke als Grünflächen auszuweisen. Der Besitzer des fürs Hochhaus vorgesehene Grundstück zeigte Bereitschaft, das Grundstück zu verkaufen oder sich auf einen Grundstückstausch einzulassen. Damit wäre das zu diesem Zeitpunkt vom Unternehmen Stofanel unter dem Namen East Side Towers“ geplante 18-geschossige Hochhaus am geplanten Standort Geschichte gewesen. Diese Lösung war allerdings nicht ohne den Senat zu realisierbar.

Der Senat gab im November 2012 bekannt, dass er sich weder finanziell noch durch Bereitstellung von Austauschgrundstücken an den Plänen für eine Alternativnutzung des Grundstücks beteiligt. Im Anschluss kam es zum Grundstücksverkauf durch den Eigentümer an die CIC Group, die die Pläne rund um den Hochhausbau weiter verfolgt. Das benachbarte Grundstück, auf dem irgendwann der Gebäuderiegel entstehen soll, gehört weiterhin einem israelischen Konsortium. Die mehrfach verlängerte Baugenehmigung fürs Hochhaus gilt aktuell noch bis zum Juni 2013. Falls bis dahin Bauarbeiten begonnen werden und die CIC Group eine Baubeginnsanzeige macht, gilt die Baugenehmigung als realisiert.

Die Sache mit der Maueröffnung (der Konflikt)

Aufgrund eines „dringenden Gesamtinteresses Berlins“ schaltete sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Jahr 2000 in die Bauvorbescheidung für das Hochhaus und den Gebäuderiegel ein und wies das Bezirksamt Friedrichshain an, positiv zu bescheiden, berichten die Grünen in ihrer Chronologie. Bereits damals hieß es: „Die East Side Gallery soll im Rahmen des Bauvorhabens punktuell mit Öffnungen versehen werden.“ Zustimmung für diese Pläne kam auch vom Landesdenkmalamt. Zuletzt hatte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg Anfang 2013 eine Genehmigung für den Mauerdurchbruch erteilt. Aus Sicht der Grünen war das ein Muss. „Die Genehmigung für die Öffnung der Mauer musste das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg erteilen, weil der Bauherr ein Recht auf verkehrliche Erschließung hat und  die Stelle und das Ausmaß der Öffnung so im Bebauungsplan festgehalten ist (auch wegen der geplanten Brommybrücke)“, heißt es dazu in der Chronologie.

In Bezug auf die Brücke kann sich die Bezirksvertretung mittlerweile auch einen kompletten Verzicht vorstellen, sodass es dann bei der Lösungssuche mit Maueröffnung nur noch um das Hochhaus und den benachbarten Gebäuderiegel ginge. Alternative Anschlüsse der Brücke sind ebenfalls im Gespräch. Jüngste in die Diskussion gebrachte Lösungsmöglichkeit: Es wird ein bereits vorhandener Durchbruch durch die East Side Gallery am Grundstück genutzt, auf dem der Gebäuderiegel entstehen soll. Der Durchbruch wird auf elf Meter Breite erweitert und das Hochhaus wird dann ebenfalls über diese Öffnung an das Straßennetz angeschlossen. Das setzt eine Einigung der beiden unterschiedlichen Investoren voraus. Aber auch gegen diese Pläne regt sich bereits Widerstand. Letztlich zeigt sich: Es geht gar nicht um die East Side Gallery alleine.

Das eigentliche Thema heißt nicht „East Side Gallery“

Öffnungen der East Side Gallery hat es bereits einige gegeben, etwa für eine Strandbar oder die O2-Arena, bisher ohne großen Protest. Als die Bauarbeiten zur Öffnung der East Side Gallery für Hochhaus und die Brücke begannen, protestierten jedoch über 6.000 Menschen. Und das weckte internationales Medieninteresse, führt zu einem Aufmacher in der „New York Times“, zu Berichten von Medien wie BBC, „Washington Post“ und „Los Angeles Times“. Was ist dieses Mal anders als die Male davor? Mögliche Antwort: Es geht dieses Mal nicht nur oder vor allem um die East Side Gallery, sondern auch um das Wohnhaus mit Luxuswohnungen. Vielleicht ist es die Angst von Menschen vor Verdrängung aus Wohnvierteln, in denen sie eventuell seit Jahrzehnten leben, die Protestierende auf die Straße treibt, selbst wenn es sich um eine Bebauung eines bisher unbebauten Grundstücks handelt und nicht um ein Projekt in einem Viertel mit angestammter Bevölkerung? Vielleicht.

Es geht vielleicht generell um die Angst, verdrängt zu werden, nicht nur räumlich, sondern auch darüber hinaus: an den Rand der Stadt UND an den Rand der Gesellschaft. Und die, die protestieren, sind (auch) jene mit solch einer Angst und jene, die solch eine Angst nicht haben, aber sie verstehen können und sich solidarisch zeigen. Möglicherweise ist das Wort „Luxuswohnung“ für viele Berliner mit weniger prall gefüllten Portmonees generell zum Reizwort geworden und vielleicht wäre der Protest viel leiser gewesen, wenn es sich um „normale“ Wohnungen gehandelt hätte? Auch hier ein „Vielleicht“. Ist das dann Neid? Oder ein berechtigtes Missfallen alteingessener Berliner? Diese Fragen sind die eine Seite der Medaille, wobei die Suche nach Antworten auf die Fragen, wie viel mögliche Verdrängung Alteingessener akzeptabel ist und wann und wie gegengesteuert werden sollte, den Rahmen dieses Artikels sicherlich sprengen würde. Lassen wir sie also beiseite.

Irgendwann muss Planungssicherheit herrschen

Die andere Seite ist die Frage rund um Planungssicherheit: Welche Entscheidungen nun auch immer getroffen werden. Sie sollten auch dazu führen, dass Investoren künftig eine sichere Basis für ihre Pläne bekommen. Das bedeutet: Eventuelle Kompromisse, die jetzt gefunden werden, sollten möglichst vom beherzten „ja“ aller Beteiligten getragen werden. Bürger haben ein Anrecht darauf, an der Gestaltung ihrer Stadt beteiligt zu werden. Aber Investoren haben auch ein Anrecht darauf, irgendwann zu wissen, was sie bauen dürfen und was nicht. Alles andere wäre nicht fair und letztlich nicht nur schlecht für Investoren, sondern auch für Berlin.