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Im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg soll künftig möglicherweise Milieuschutz greifen und Sanierungen von bestehenden Wohnraum in Luxuswohnraum verhindern. Wäre das gut? Oder übertrieben? Ein Pionier wäre der Regierungsbezirk in der deutschen Hauptstadt jedenfalls nicht. Milieuschutz gibt es etwa in den Berliner Bezirken „Pankow“ und „Friedrichshain-Kreuzberg“ bereits für mehrere Gebiete. Und auch Berlin ist kein Einzelfall in Deutschland: Milieuschutz ist auch in anderen Metropolen wie Hamburg und München längst Thema und Realität zugleich. Und es scheidet die Geister. Letztlich geht es dabei wohl um die Frage, wie viel staatlicher Eingriff in die Entwicklung städtischer Immobilienmärkte sinnvoll und begrüßenswert ist und wann die Freiheit von Immobilienbesitzern in zu hohem Maße beschnitten wird. Einfache Antworten gibt es wohl eher nicht.

Milieuschutz als Teil der Erhaltungssatzung

Rechtliche Basis des derzeit häufiger diskutierten und von Großstädten wie Berlin zunehmend angewendeten Milieuschutzes ist Paragraf 172 „Erhaltung baulicher Anlagen und der Eigenart von Gebieten (Erhaltungssatzung)“ des Baugesetzbuchs. Hier heißt es unter anderem in Absatz 1, dass eine Gemeinde in einem Bebauungsplan oder durch eine sonstige Satzung Gebiete bezeichnen kann, in denen „1. zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt (Absatz 3), 2. zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (Absatz 4) oder 3. bei städtebaulichen Umstrukturierungen (Absatz 5) der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedürfen“. Unter Milieuschutz werden dabei in engerem Sinn die Maßnahmen für eine „Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ verstanden. Damit kann Milieuschutz zum Instrument gegen eine mögliche Gentrifizierung in Städten werden, also gegen eine weitgehende Verdrängung einer angestammten Wohnbevölkerung in einem Viertel.

Der Milieuschutz in Berlin

Eine mögliche Gentrifizierung ist nicht erst seit gestern Thema in Berlin, allerdings ist es schwierig, konkrete Zahlen zum Thema zu finden. Als Indiz für eine mögliche Gentrifizierung präsentierte etwa der Berliner Tagesspiegel am 9. August 2013 in einem Artikel Zahlen aus den Berliner Jobcentern. Durch sie lässt sich anonymisiert anzeigen, wie viele Empfänger von Transferleistungen in einem Berliner Bezirk weg- und zugezogen sind. Dabei zeigte sich, dass die Zahl der Leistungsempfänger beispielsweise in Marzahn-Hellersdorf im Zeitraum „März 2012 – März 2013“ um knapp 800 gestiegen ist, während sie sich in zentralen Bezirken reduziert hat: in Berlin-Mitte um über 1.100 und in Friedrichshain-Kreuzberg um fast 900, berichtet der Tagesspiegel. Das spricht dann tatsächlich für Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten aus den zentralen Bezirken Berlins in Richtung Rand. Gentrifizierung wäre damit Realität.

Die TAZ berichtet in einem Artikel vom 14. August 2013 mit dem Titel „Der Milieuschutz ist kein Allheilmittel“ von elf städtebaulichen Erhaltungsgebieten in Pankow sowie von acht in Friedrichshain-Kreuzberg. Eins der Erhaltungsgebiete in Friedrichshain-Kreuzberg ist das Erhaltungsgebiet Luisenstadt. Laut Erhaltungsverordnung werden hier zwar Sanierungen wie der Ersteinbau einer Sammelheizung oder von Wärmedämmung als „Herstellung eines zeitgemäßen Ausstattungsstandards einer durchschnittlichen Wohnung“ ohne Auflagen genehmigt, „sofern sie in Standardausführung und ohne weitere Sonder- und Zusatzmerkmale“ gemäß Berliner Mietspiegel erfolgen. Bei anderen geplanten Sanierungsmaßnahmen kommt dagegen eine Ablehnung weitaus eher in Frage, weil sie eine Aufwertung des Wohnraums bedeuten könnten, die möglicherweise dazu führen, die demografische Struktur eines Wohnquartiers nachhaltig zu ändern.

Das Pro und das Kontra

Die Zeitung „Welt“ sieht die Tendenz zu einem zunehmenden Milieuschutz in Großstädten wie Berlin und München und sieht diese Entwicklung mit Genehmigungspflichten beispielsweise für „Gäste-WCs, Doppelwaschbecken, Balkone, Aufzüge, Fußbodenheizungen oder Zusammenlegung von Wohnraum“ insgesamt eher skeptisch. Darauf deutet bereits der Titel des Artikels „Die fatalen Folgen des deutschen ‚Milieuschutzes'“ hin. Als völlig kontraproduktiv bezeichnet etwa Jürgen Michael Schick, Inhaber eines Maklerhauses in Berlin sowie Vizepräsident des IVD, Erhaltungssatzungen für einzelne Stadtquartiere im Artikel. „Mit einer solchen Verhinderungspolitik würden soziale Verhältnisse zementiert und die Quartiere auch nicht weiterentwickelt“, wird Schick weiter zitiert. Fakt ist wohl zumindest, dass nicht nur günstiger Wohnraum in Berlin gesucht wird, sondern auch Luxuswohnraum. „Luxuswohnungen in Berlin ausverkauft“ titelte etwa der Ring Deutscher Makler Berlin und Brandenburg eine Pressemitteilung vom Juni 2013. Das würde dann möglicherweise bedeuten, dass durch Milieuschutz begehrter preisgünstiger Wohnraum bewahrt, indem begehrter luxuriöser Wohnraum verhindert wird. Ist das legitim oder wird hier doch zu sehr in Freiheiten von Immobilien-Besitzern eingegriffen?

Auch die Befürworter von Milieuschutz haben gute Argumente. „Die Politik in Berlin steht unter großem Druck, den gegen die Mieter gekippten Wohnungsmarkt in der Stadt sozial abzufedern“, schreibt etwa MoabitOnline.de. Dass es für ärmere Familien vielerorts immer schwieriger wird, für sie bezahlbaren Wohnraum zu finden, zeigte beispielsweise die Studie „Wohnungsangebot für arme Familien in Großstädten“ mit der Kernaussage, dass ärmeren Familien in vielen großen Städten Deutschlands fürs Leben nicht einmal der SGB-II-Regelsatz von 1.169 Euro/Monat bleibt. Wir haben die Studie in einem Blogeintrag im Juli 2013 vorgestellt. Und auch bei der Verdrängung ist die Frage: Wie viel muss man dulden und wann sollte staatlich eingegriffen werden? Wer Antworten sucht, wandert auf Graten.