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Am elften September 2011 trafen sich ein Radio-Moderator, ein Diplom-Museologe und ein Maler gemeinsam mit Freunden zum letzten Abendmahl. Die Aktion diente als Protest gegen den Abriss der Deutschlandhalle in Berlin.

Zwischen „beharren“ und „verändern“

Auch in Düsseldorf regt sich Protest. Hier ist es die Tausendfüßler genannte Hochstraße auf dem Areal des künftigen Kö-Bogens, deren geplanter Abriss nicht allein auf Zustimmung stößt. Manchmal sind Immobilien und andere Bauwerke mehr als Nutzobjekte. Sie sind mit Emotionen behaftet, stehen für Erinnerungen, für „gute alte Zeiten“ und bei einigen Menschen gar für die Identität eines ganzen Viertels. Stadtentwicklung hat es da nicht einfach: Sie pendelt zwischen dem Wunsch nach Beharren und der Notwendigkeit von Veränderung.

Eine Halle voller Erinnerungen

Als die Deutschlandhalle in Berlin als „größte Mehrzweckhalle der Welt“ erstmals Gäste begrüßte, waren die dunkelsten Zeiten Deutschlands gerade etwa zwei Jahre alt. Adolf Hitler eröffnete sie am 17. November 1935. Ihr zweites Leben nach einem Brand im Jahr 1943 erlebte sie ab 1957: Fortan traten Gruppen wie Queen, The Who oder die Rolling Stones in der Halle auf und zum Mauerfall 1989 gab es ein spontanes Festival mit vielen deutschen Musikern und Joe Cocker: Eintritt frei. Das sind große Erlebnisse. So etwas bleibt haften und mit der Immobilie als Ort des Geschehens verbunden. 2001 begann die Deutschlandhalle ihr drittes Leben als Eissporthalle. Pläne, die Halle abzureißen, gab es jedoch bereits 1998. Im Jahr 2005 entstand dann erstmals die Idee, das Areal der Deutschlandhalle für den Bau einer neuen Kongresshalle zu nutzen. Die Deutschlandhalle blieb vorerst stehen. Nun scheint das Ende jedoch unausweichlich zu sein. Die ersten Abrissarbeiten haben gegen Ende August 2011 begonnen. Asbesthaltige Isolierungen an den Vordächern werden beseitigt. Erste Sprengungen sollen nicht vor Ende Oktober folgen, aber Ende März 2012 ist von der traditionsreichen Deutschlandhalle voraussichtlich nichts mehr außer Bauschutt übrig.

Nicht immer zählen Vernunft und nackte Zahlen

Henning Vosskamp hieß der Radio-Moderator, Uwe Böttcher der Diplom-Museologe und Matthias Koeppel der Maler. Sie haben jüngst gegen den Abriss der Halle protestiert. Alleine sind sie mit dem Protest nicht. Der Baustadtrat des Bezirks Charlottenburg, Klaus-Dieter Gröhler, hatte lange um ihren Erhalt gekämpft: vergeblich! Auch ein letztes Fest in ihrem Inneren, um Abschied zu nehmen, wurde von der Messegesellschaft Berlins abgelehnt. Man fürchtete um die Sicherheit der Feiernden, weil bereits „Betonteile von der Decke gestürzt sind“. Es war wohl die richtige und eine vernünftige Entscheidung. Aber Vernunft spielt nicht immer die Hauptrolle, wenn es um Immobilien geht. Der Tausendfüßler in Düsseldorf, die Villa Giebe in Iserlohn, das Stern-Kino in Göttingen – sie sind allesamt Beispiele für Immobilien und andere Bauten, gegen deren möglichen Abriss protestiert wird. Beim Tausendfüßler wurde auf dem Portal „Der Westen“ der WAZ-Mediengruppe bereits öffentlich überlegt, ob die Hochstraße nicht das Schicksal der beiden über der Stadt erbauten ehemaligen Eisenbahntrassen „promenade plantee“ in Paris und „Highlane“ in New York teilen soll. Sie, so berichtet „Der Westen“, wurden zu öffentlichen Räumen umfunktioniert, bewahren optisch die Baugeschichte der Stadt und sind heute Besuchermagneten.

Manche Immobilie verdient Respekt

Fast jede Immobilie hat für irgendwen einen immateriellen Wert, der weit über nackte Zahlen hinausgeht. Aber es lässt sich auch nicht alles bewahren, nur weil es irgendwem als Anker seiner Erinnerungen im Hier und Jetzt dient. Eine Stadt muss wachsen, muss sich entwickeln und der Abriss alter Bauwerke gehört bisweilen dazu. Vielleicht ist für Stadtplaner und andere Akteure der Stadtentwicklung einfach ab und an das Bewusstsein wichtig, dass Immobilien auch eine emotionale Bedeutung haben, sodass ihre Entscheidung „Abrissbirne – ja oder nein?“ keine allzu einfache wird? Vielleicht ja! Und wenn die Entscheidung dann doch zugunsten der Abrissbirne ausfällt? Früher haben Holzfäller Bäumen Respekt gezollt, bevor sie sie fällten. Manche Immobilie hat einen ähnlichen Respekt verdient.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Uwe Böttcher

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    vielen Dank für die äußerst reflektierte und ausgewogen formulierte Rezeption unserer Kunstaktion „Deutschlandhalle Adé“. Selbstverständlich sehe auch ich als Museumswissenschaftler die Gratwanderung zwischen notwendiger städtebaulicher Veränderungen und dem Erhalt von Bau – und Kulturdenkmälern.Insbesondere vor dem Hintergrund der assoziativen Kraft ihres Namens – Deutschlandhalle – in Verbindung mit ihrem bedeutsamen „kulturhistorischen Veranstaltungs-Line up“, halte ich in diesem Falle die Entscheidung die Deutschlandhalle „zu schleifen“ für falsch.

    Bedauerlicherweise ist der Abriss jedoch nicht mehr aufzuhalten.

    Nunmehr gilt es dem „Kulturdenkmal Deutschlandhalle“ im geplanten Neubau einen angemessenen Raum zu verschaffen. Dies war ebenfalls ein Anliegen unserer Aktion. Ich habe zwischenzeitlich in einem persönlichen Gespräch mit der Messe GmbH die Zusage erhalten eine solche „Kulturdenkmalfläche Deutschlandhalle“ im Neubau einrichten zu können. In welchem Format ist jedoch noch offen.

    Wir planen für Dezember eine größere Aktion um der Entwicklung dieser Fläche mehr Gewicht zu geben. Wir wären sehr erfreut wenn wir, in welcher Form auch immer, ihre Förderung und Unterstützung finden könnten.

    Gerne stehe ich ihnen für Fragen oder persönliche Rücksprachen zur Verfügung.

    Mit freundlichen Grüßen

    Uwe Böttcher
    Kurator „Kulturdenkmal Deutschlandhalle“

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